Warum ich nicht mehr Namasté sage
Einigen von euch ist vielleicht schon aufgefallen, dass ich am Ende meiner Yogapraxis nicht mehr Namasté sage. Einige vermissen es vielleicht sogar oder wundern sich einfach. Ich möchte heute erklären, warum ich nicht mehr Namasté sage.
[Disclaimer: Ich möchte mit meinem Text auf keinen Fall irgendjemandem zu nahe treten. Es obliegt mir nicht, zu urteilen. Ich habe lediglich für mich entschieden, es nicht mehr zu tun. Aus Respekt vor der indischen Kultur und derer Philosophie und Körperübungen wir uns hier im Westen bedienen.]
Wir kennen es alle: Am Ende einer jeden Yogastunde werden die Hände vor der Brust gefaltet, manchmal auch zur Stirn geführt. Es wird sich verneigt und ein einstimmiges Namasté klingt durch den Raum. Was für die meisten von uns, mich bislang eingeschlossen, ein nicht wegzudenkendenes Ritual zum Abschließen der Asanapraxis darstellt, ist für andere Yogapraktizierende schier ein Graus.
Es hat sich so eingebürgert, eigentlich jeder kennt es, das geflügelte Wort am Ende der Yogastunde. Fast jeder Yogalehrer hat es so gelehrt bekommen. Und gibt es deshalb an seine Schüler weiter, auch wenn viele derer gar nicht die (angebliche) Bedeutung des wohlklingenden Sanskritwortes kennen. Es wird überzeugt mitgeflüstert, und wenn auch nur im ganz heimlich Stillen. Das Göttliche in mir verneigt sich vor dem Göttlichen in dir – So oder so ähnlich übersetzen wir westlichen Yogalehrenden das Wort, das aus dem asiatischen Sanskrit kommt. Eine uralte heilige Sprache der Brahmanen, die heutzutage eigentlich gar nicht mehr gesprochen wird, jedoch im Yoga eine zentrale Bedeutung einnimmt. Doch was, wenn die Bedeutung der Wörter von uns Westlern plötzlich eine ganz andere aufgestülpt bekommt? Was, wenn wir sie verschandeln oder sogar für andere Zwecke missbrauchen? Dann spricht man von kultureller Aneignung. Und genau dieser ist das wohlklingende Namasté zum Opfer gefallen.
Nicht nur wird es für Werbezwecke beispielsweise auf T-Shirts und Kaffeetassen gedruckt und für kreative Wortschöpfungen genutzt (beispielsweise Namastay). Es wird in jeder Yogastunde, in der wir es als Abschiedgruß sagen, missbräuchlich verwendet. Denn die Übersetzung hat nichts mit dem Göttlichen in mir und dir zu tun und weder mit Licht noch mit Liebe. Auch wenn wir es gern so hätten und nicht müde werden, es mit dieser Bedeutung versehen in die Welt zu tragen.
Laut Susanna Barkataki, einer amerikanischen Yogalehrerin und Autorin mit indischen Wurzeln, die sich intensiv mit Rassismus und kultureller Aneignung im Yoga befasst, ist Namasté am Ende der Yogapraxis schlicht und ergreifend falsch und unangebracht. In einem Podcastinterview mit Yogagirl, Rachel Brathen, berichtet sie, dass so manche südasiatische Online Yoga Teilnehmer*innen wie aufgescheuchte Hühner nach Savasana hoch springen und das Yoga-Video schnell weg klicken, damit sie bloß nicht das Namasté am Ende hören müssen. Ich kann freilich nicht wissen, wie und was sie empfinden, aber ich stelle es mir ein bisschen so vor, wie wenn man sich fremdschämt. Ein sehr unangenehmes Gefühl mit dem keiner seine Yogapraxis abschließen möchte.
Namasté wird nämlich in Indien laut Susanna, wenn überhaupt, als Begrüßung für sehr angesehene Yogameister oder andere Respektspersonen benutzt. Also wenn man sich trifft und nicht als Verabschiedung. Um das ganze einmal für uns fühlbar zu machen, lade ich dich ein, dir jetzt bitte einmal folgendes Szenario vorzustellen: Du bist in Indien bei einem Yogaretreat, hast gerade eine wundervollen Yogaeinheit beiwohnen dürfen, tauchst, noch leicht benommen, aber beseelt aus deinem Savasana auf, nimmst eine sitzenden Position ein, um dich bei deinem*r Lehrer*in zu bedanken und zu verabschieden und hauchst dann, im Kanon mit allen anderen Teilnehmer*innen: „Guten Tag!“. Schon irgendwie unangenehm, oder? Als mir das, dank der amerikanischen Yogalehrerin bewusst wurde, beschloss ich, dem Namasté namasté zu sagen. Good bye my Friend!
Doch wie nun die Yogastunde beenden? Mit einem schnöden „Tschüss!“ wohl kaum. Laut Susanna gibt es zig Möglichkeiten, das lieb gewonnene Sanskritwort zu ersetzen. Man solle einfach ein wenig kreativ werden. Sprache ist stets im Wandel. Und gerade jetzt, wo wir uns alle seit Monaten bemühen, rassistische Wörter aus unserem Wortschatz ein für alle Mal zu verbannen und die Diskussion um kulturelle Aneignung im Allgemeinen immer lauter wird, sollten wir, finde ich, auch im Yoga nicht die Augen davor verschließen und nötige Veränderungen nicht mit Licht und Liebe abtun. Ich habe mich mit mir, nach langem kreativen in mich Gehens, auf OM Shanti als Ersatz für mein lieb gewonnenes Namasté geeinigt. Denn Frieden brauchen wir alle. Zu jeder Zeit. In uns und um uns herum. Doch ein ganz leises Namasté schwingt noch immer heimlich in meinen Gedanken mit.